Fake Account bei Amazon: Fremde bestellen unter Ihrem Namen

 

Die Hälfte aller Internetnutzer ist laut einer Bitkom-Studie bereits Opfer von Kriminalität im Netz geworden. Den Tag der Kriminalitätsopfer am 22. März 2018 widmet der WEISSE RING deshalb den Betroffenen von Cybercrime.

Hannah Wehners* Odyssee beginnt mit einem Paket, das sie nicht bestellt hat. Im Dezember 2015 öffnet sie das schmale Päckchen, befreit den Inhalt von der Luftpolster-Folie und hält Einlagen für Schuhe in der Hand. Weder eine Nachricht liegt darin noch eine Rechnung. „Vielleicht ein Versehen“, glaubt sie, „oder Werbung“. Hannah Wehner wirft die Einlagen weg und vergisst das Päckchen erst einmal. Doch dann kommt ein paar Tage später wieder ein Paket, das sie nicht geordert hat. Dieses Mal sind Filzstifte darin. Jetzt wird sie stutzig, hofft aber, dass es sich um einen Zufall handelt.

Doch von nun an soll die 45-Jährige regelmäßig an sie adressierte Päckchen erhalten, die sie nicht bestellt hat. Die kleinen Päckchen landen im Briefkasten, so dass sie keine Möglichkeit hat, die Annahme zu verweigern. Darin sind Kleinigkeiten: Spitzer, Post It- Zettel, Glühbirnen. Häufig handelt es sich um billige Ware aus China. Hannah Wehner wird das Ganze langsam unheimlich.

Was will ihr der Absender sagen? Und vor allem: Wer ist der Absender? Ihr Mann kommt auf die Idee, ihren Namen zu googeln und siehe da: Unter ihrem Namen hat jemand Rezensionen beim Online-Versandhändler Amazon zu den von ihr nicht bestellten Produkten verfasst. Wehner ist irritiert und verunsichert. Die Rezensionen sind holprig formuliert. „So schreibe ich nicht“, sagt sie. „Ich gehe außerdem sehr vorsichtig mit meinen Daten um und bin immer darauf bedacht, im Netz keine Spuren zu hinterlassen.“ Ihr eigenes Amazon-Konto wurde nicht gehackt. Dort sind nur die von ihr selbst getätigten Bestellungen hinterlegt. Ein Anruf beim Versandhändler gibt Aufschluss. Sie erfährt: Eine
andere Person hat mit ihrem – relativ seltenen – Namen, ihrem Geburtsdatum und ihrer Adresse ein eigenes Amazon-Konto eröffnet. Nur die E-Mail-Adresse ist nicht identisch. Als sie darum bittet, das Konto zu löschen, verweigert Amazon das. Die Kunden müssten sich mit der E-Mail-Adresse und dem dazugehörigen Passwort identifizieren. Beides kennt Wehner natürlich nicht.

„Die Person muss mein Geburtsdatum und meine Adresse kennen“, sagt Wehner. „Ich habe diese Daten aber nie öffentlich geteilt, auch die Telefonnummer steht nicht im Telefonbuch.“ Die 45-Jährige erstattet Anfang 2016 schließlich Anzeige bei der Polizei. Dort weiß man mit Wehners Ausführungen zunächst wenig anzufangen. „Ist Ihnen denn ein finanzieller Schaden entstanden?“, fragen die Beamten. Als sie verneint, sei ihr Fall bagatellisiert worden, sagt Wehner. „Ich hatte das Gefühl, dass ich belächelt wurde.“

Auch die Staatsanwaltschaft sieht zunächst keinen Straftatbestand erfüllt. Wehner fühlt sich unverstanden und hilflos. Sie kann nicht mehr durchschlafen und kreist in Gedanken ständig um das Geschehene. „Ich habe mich immer wieder gefragt: Was tut die Person noch alles in meinem Namen? Und was kommt als Nächstes?“ Der Weg zum Briefkasten fällt ihr von Tag zu Tag schwerer. Immer wieder entdeckt sie dort neue Päckchen. Der Inhalt wird ausgefallener: Wehner erhält zum Beispiel eine billige Armbanduhr und eine Karnevalskrone. Im Frühjahr 2016 wendet sie sich schließlich an den WEISSEN RING. „Dort hat man mir zunächst einmal zugehört. Das war ganz wichtig.“ Susanne Tolkmitt, die seit 13 Jahren ehrenamtliche Mitarbeiterin beim WEISSEN RING ist, betreut Hannah Wehner. „Einen Fall wie diesen hatte ich noch nicht“, sagt Tolkmitt. „Die Belastungssituation für Frau Wehner war auch deshalb so groß, weil sie sich von den Behörden im Stich gelassen gefühlt hat.“ Der WEISSE RING finanziert eine Rechtsberatung, so dass Wehner eine Anwältin aufsuchen kann, vermittelt ihr außerdem eine psychologische Beratung und kommt für die Therapie auf.

Tolkmitt hakt mit Nachdruck bei der Staatsanwaltschaft nach. Die ermittelt schließlich wegen Nachstellung. Die Beamten haben eingesehen, dass Wehner Opfer von Cyberstalking geworden ist. Damit ist sie nicht allein. Etwa die Hälfte aller Internetnutzer werden laut einer Studie des Digitalverbands Bitkom Opfer von Kriminalität im Netz.

Im Juni 2017, anderthalb Jahre nach dem ersten Paket, teilt die Staatsanwaltschaft Wehner schließlich mit, dass das Verfahren eingestellt werde, weil kein Täter ermittelt werden konnte. „Ich war fassungslos, denn die Staatsanwaltschaft hatte laut der Akten offenbar das falsche Amazon-Konto abgefragt, nämlich mein eigenes“, sagt Wehner.

Sie reicht Widerspruch ein, mit Erfolg. Die Staatsanwaltschaft ermittelt erneut. Hannah Wehner geht es unterdessen immer schlechter. „Ich fühlte mich verfolgt“, sagt sie. „Das Schlimme für mich war, dass es sich nicht um einen anonymen Internet-Betrug handelte, bei dem jemand mit meinen Daten Geld machen will, sondern dass es meines Erachtens ein Delikt war, das gegen mich persönlich gerichtet war“, sagt Wehner. „Wer das tut, hat ja auf den ersten Blick keinen Vorteil durch den Missbrauch meiner Daten. Es geht darum, mich zu verunsichern.“

Die Staatsanwaltschaft bringt schließlich in Erfahrung, dass die an sie gesendeten Artikel mit einer Prepaid- Kreditkarte von einem Finanzdienstleister aus Hongkong gezahlt wurden. Solche Kreditkarten würden in der Regel von Tätern benutzt, um die eigene Identität zu verschleiern, schreibt die Staatsanwaltschaft. Weitere Ermittlungen seien nur mittels „Rechtshilfeersuchen an die Behörden in Hongkong möglich“, die jedoch „erfahrungsgemäß aussichtslos und unverhältnismäßig“ seien. Ende Juli werden die Ermittlungen erneut eingestellt. Und Hannah Wehner erhält weiter Pakete, die sie nicht bestellt hat.

Im September 2017 meldet sich jedoch ein Mitarbeiter aus der Rechtsabteilung von Amazon. Hannah Wehners Mann schildert dem Mitarbeiter, wie schon so vielen zuvor, was geschehen ist. Und tatsächlich veranlasst er die Löschung des falschen Kontos auf Wehners Namen. Die 45-Jährige ist erleichtert. Seither hat sie keine dubiosen Pakete mehr erhalten. „Ich hoffe aber sehr, dass der Fall doch noch aufgeklärt wird“, sagt Wehner. „Und dass ich nie mehr verdächtige Päckchen bekomme.“

Ihre Odyssee ist zu Ende, doch das mulmige Gefühl, das sie hat, wenn sie zum Briefkasten geht – das wird erst einmal bleiben.

Dieser Gastbeitrag erscheint im CyberBlog mit freundlicher Genehmigung des WEISSEN RINGS. Artikel ursprünglich erschienen in Forum Opferhilfe - Mitgliederzeitschrift des WEISSEN RINGS, 41. Jahrgang, Ausgabe 1/2018

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